Anlässlich unseres Sommerfestes gab es ein freudiges Wiedersehen mit meinem langjährigen Schachfreund Christian Janzen, der seit einigen Jahren Mitglied der Königsjäger ist und zuletzt für unsere fünfte Mannschaft in der BMM spielte. Aus gesundheitlichen Gründen hat er sich zuletzt vom Turnierschach zurückgezogen.
Christian Janzen spielt seit 1969 Turnierschach im Verein und er war bis 2006 37 Jahre Mitglied der Schachfreunde Siemensstadt, die damals noch „Schachgruppe im Kulturkreis Siemens e.V.“ hießen und bei denen ich auch 1978 als Jugendlicher mit dem Turnierschach begann.
Damals residierte der Schachklub Siemens zwar geographisch ein wenig in der „schachlichen Provinz“ Siemensstadt, die schachlichen Hochburgen lagen um 1980 eher im Steglitzer Café Bohne Schallehn (Lasker-Steglitz), oder im Souterrain der Music-Hall am Bundesplatz (SV Wilmersdorf), aber der gepflegte Saal im legendären Siemens-Klubhaus, in welchem diverse Kulturvereine von Siemens-Mitarbeitern untergebracht waren (so z.B. das firmeneigene Amateurorchester), war seinerzeit vielleicht die eleganteste Schachadresse in Berlin, mit Flügel, großformatigen Ölgemälden und eigener Restauration.
In der BMM-Saison 1982/83, also noch zu Westberliner Zeiten, spielte ich gemeinsam mit Christian Janzen in der Landesliga-Aufstiegsmannschaft der Schachgruppe Siemens. Leider sind wir damals gleich wieder abgestiegen, aber ich erinnere mich noch, dass Christian damals sehr erfolgreich war: Zusammen mit unserem Spitzenspieler Thomas Glatthor holte er die meisten Punkte am Brett.
Das lag sicherlich auch daran, dass er schon immer eröffnungstheoretisch sehr interessiert war und seine originellen Ideen gelegentlich auch renommierten Schachbuchautoren vorstellte.
Im Jahr 1982 war es auch, als eine von Christian Janzens Eröffnungsideen Furore machte: In der Siemens-Klubmeisterschaft spielte er mit Weiß gegen den favorisierten Peter Schroeder-Wildberg (Klubmeister 1979) und brachte hierbei etwas ganz besonderes aufs Brett:
Christian Janzen – Peter Schroeder-Wildberg, Siemens-Klubmeisterschaft 1982
1.d2-d4 f7-f5 2.h2-h3!? Sg8-f6 3.g2-g4!? Dieser Gambit-Hebel soll den holländischen Beton öffnen! 3…f5xg4 4.h3xg4 Sf6xg4 5.Dd1-d3 greift zwar nicht den Springer g4 an, aber Bauer h7 ist bedroht, also: 5…..Sg4-f6
6.Th1xh7 !! Bäng!! Nach diesem herrlichen Turmopfer ist die Partie sofort vorbei!! Der Turm ist wegen Matts auf g6 doppelt Tabu, zieht der König, verbleibt Weiß mit einem Turm mehr. Schwarz gab auf. Es war die einzigste Verlustpartie von Schroeder-Wildberg in diesem Turnier, derentwegen er am Ende nur Zweiter wurde.
Diese Kurzpartie ist dadurch einem breiteren Publikum bekannt geworden, dass sie der frühere Bundesligaspieler und Schachbuchautor FM Bernd Feustel in seinem Buch „Eröffnungen abseits aller Theorie“ im Jahre 1982 veröffentlichte.
Auch in der Festschrift „100 Jahre und kein bisschen matt: Schach in Siemensstadt seit 1913“, verfasst 2012 von Schachfreund Thomas Binder, ist diese wunderbare Miniatur abgedruckt.
Anscheinend haben nicht alle Schachfreunde das Buch von Feustel gelesen, denn laut meiner Datenbank ist diese historische Kurzpartie in späteren Jahren 15 mal in identischer Weise nachgespielt worden! So etwa 1989 in der Partie Maly-Schmid, Hamburger Jugendmeisterschaft U18, wo der Schwarze immerhin eine ELO-Zahl von 2315 aufwies!!!
Der kurioseste Verlauf ergab sich in der Partie Teodora Rogozenco – Markus Kania, Deutsche Jugendmeisterschaft U10 in Willingen 2009, in der Weiß nach 6.Th1xh7 zwar den Turm gewann, aber im weiteren Verlauf die Partie sogar noch verlor (!), wenn meine Datenbank sich nicht geirrt hat.
Der grosse Viktor Kortschnoj hatte bereits 1978 in einer Partie gegen Kaenel, Biel 1979, die Eröffnungsidee 1.d2-d4 f7-f5 2.h2-h3!? Sg8-f6 3.g2-g4!? gespielt. Darum ist dieses Gambit in die internationale Schachtheorie als „Janzen-Korchnoi-Gambit A80“ eingegangen. Welcher Schachspieler kann schon von sich behaupten, gemeinsam mit einem Vizeweltmeister Schachtheorie geschrieben zu haben?